Mein Balkon am Hombüchel

Blutmond
Elberfeld
Hombüchel
Nordstadt
Sonnenfinsternis
Wuppertal

Mein Balkon word

Der Himmel über meinem Balkon ist weit, hier kann ich atmen und sehen, von hier blicke ich bis zum hügeligen Horizont meiner Heimatstadt. Drei weiße Stiftzähne ragen hervor, die Barmenia-Hochhäuser, ich konnte sie wachsen sehen. Zu ihren Füßen bröckeliges Grauweiß und schmutziges Ziegelrot, das sich den Berghang hinaufzieht, Wohnblocks, die Villen der Augustastraße. Weiter rechts der Sparkassenturm, dann die Universität, die trutzige Wissensburg oben auf dem Berg.

Mein Enkel macht meinen Balkon zum Führerhaus eines Ozeandampfers. Mit dem Fernglas steht er auf der Brücke, sucht den Horizont ab und nickt mir beruhigend zu: Keine besonderen Vorkommnisse.

Hinter der Krone der großen Kastanie, „meiner“ Kastanie, der grünspanbedeckte Zwiebelturm des Rathauses am Neumarkt, der mir die Viertelstunden läutet und im Sommer fast hinter den Blättern verschwunden ist. In den Winternächten schickt er ein rotes Licht, ein funkelndes Mal des Trostes, wie überhaupt das Leben zu mir heraufleuchtet aus dem Tal zu meinen Füßen, im heißesten Sommer wie in der kältesten Winternacht. In der Kastanienkrone richten sich die Vögel ein, meine Gefährten in allen Jahreszeiten. Im Herbst und Winter übernehmen die Raben das Revier, krächzen und plustern die Flügel auf. Die Tauben, Herren der mittleren Krone, fliegen das ganze Jahr über geschäftig hin und her, die gelbschwarzen Meisen bezirzen einander hoch in der Spitze. Dort sang auch im ersten Sommer eine Nachtigall, ich konnte es kaum glauben und hoffe seitdem vergeblich, dass sie zurück kehrt und mir noch einmal ihr  verzaubertes Lied schenkt.

In den ersten Maitagen warte ich auf die Mauersegler und mein Herz schlägt hoch, wenn ich ihre Rufe in der Luft höre, noch bevor ich die kleinen Pfeile fliegen sehe. Wenn im Frühsommer die Abendluft wie Seide ist, stoßen sie auf und nieder, schwingen mit den Bögen des Windes, pfeifen in einem friedlichen Chor. Sie sausen dicht an meinem Balkon vorbei, streifen mich fast und tanzen zur Musik von Vivaldi, die ich aus der Wohnung  hinausklingen lasse.

Der Juni mit seinen langen Abenden, die pastellig und grünrosa beginnen und langsam ins Lapislazuliblaue, Seidignächtliche gleiten, in ein Blau, das aus der Tiefe strahlt und von dem ich mich einsaugen lassen möchte.

Die Farben der Blumen werden am Abend satter, das leuchtende Blau der Glockenblumen, in deren Kelchen sich Bienen wiegen, die verschwenderische Schönheit der Klematis, eine rosarot geflammte Sternenpracht. Daneben die zartlila Myrthe, eine pedantische Zofe für die wild um sich rankenden Winden und Wicken, die im Begriff sind, das Zepter zu übernehmen. In sattem Goldgelb schlägt die Mittagsblume ihre Augen auf, blaurot erglüht die Petunie. Salbei und Thymian dünsten nach dem Gießen den Geruch des Südens aus, dazwischen kraust die Petersilie, lächeln Stiefmütterchen. Streng wacht der Aloe Vera über der kleinen Kolonie und hütet in seinen fleischigen Blättern kühlenden Heilsaft für die heißen Tage. Wenn der Himmel ein Samtteppich für Mond und Sterne geworden ist, ziehen fern winzige Leuchtkörper ihre Bahnen ins Unendliche. Dort wachen und wandeln auch die Gestirne, die unser Schicksal spinnen.

Bei Gewitter sitze ich gerne auf meinem Balkon und denke an die Mutter von Else Lasker-Schüler, die es liebte, den „Kopp ins Jetümmel“ zu stecken.  Am Sommerhimmel ziehen dunkelgrau schäumende Gebirge auf, eine Regenwand rauscht heran und hängt wie ein Perlenvorhang vor der Helligkeit. Gleißende Keile zerschneiden ihn, der Donnergott tobt. Ein Sturmstoß treibt eine Woge aus Regen und Wolkenschaum vor sich her, die wütend über den langgezogenen Bergkamm am Horizont reitet.

Im Winter ist mein Balkon unwirtlich, die Pflanzen werden manchmal schon Anfang Dezember in voller Blüte von Eis und Schnee erwischt, erfrieren bei lebendigem Leibe. Dann ist der Gedanke, in der ersten  Frühlingssonne im Februar oder März auf meinem Balkon zu sitzen, pures Glück.

Die Stunden mit ihm auf meinem Balkon, wenn schon eine Stuhlbreite zu viel Abstand war. Wir sahen Regenbögen, die sich ineinander schlangen und zerbarsten, als es zu Ende ging.

In meinem Elend rief ich die Beschützer im Himmel über meinem Balkon, meiner Kanzel,  meinem Tor zur anderen Welt. Ich sehe sie als Amöben aus Licht, fließende Gestalten, deren Abbilder in Platten aus strahlendem Licht gefräst sind. Immer schicken sie ihren luftigen Trost, ihre allumfassende Weisheit, ihren Atem aus weißleuchtender Energie. Ihre Stimmen hallen groß und klar im unendlichen Raum, ihre Anweisungen sind pragmatisch und sehr menschlich.

Auch, als sich die Planeten verfinsterten, gönnte mir mein Balkon einen Logenplatz. Allen Voraussagen zum Trotz öffnete sich für einen Augenblick ein Fenster in der Wolkendecke und zeigte mir die sichelförmige Sonne, auf die der Mond seinen Schatten warf. Und als die Sonne mit ihrem Schatten den Blutmond verdunkelte, sah ich ihn hinter einem Wolkenschleier glimmen und schimmern, bevor sich wieder die Nacht über den Horizont legte. Wie oft ich staunend vor den Wundern meines Himmels stand…

 

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